Wahrscheinlichkeitsangaben im Rahmen der ärztlichen Aufklärung
17.05.2019

Wahrscheinlichkeitsangaben im Rahmen der ärztlichen Aufklärung

Wahrscheinlichkeitsangaben im Rahmen der ärztlichen Aufklärung

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 29.01.2019 (Az. VI ZR 117/18) entschieden, dass sich ein Arzt im Rahmen der ärztlichen Aufklärung eines Patienten vor einem medizinischen Eingriff nicht an die Wahrscheinlichkeitsdefinitionen aus Beipackzetteln für Arzneimittel halten muss.


Der Entscheidung vorausgegangen war das Verlangen von Schadensersatzleistungen eines Patienten wegen angeblicher Aufklärungsfehler im Zusammenhang mit der Einbringung einer Knieprothese. Der Patient war der Auffassung, der Arzt hätte ihm die Risiken der bevorstehenden Knie-OP anhand der in Medikamentenbeipackzetteln verwendeten Häufigkeitsdefinitionen des Medical Dictionary for Regulatory Activities erklären müssen. Denn nur so hätte er sich genaue Vorstellungen über die Möglichkeit und Häufigkeit von Behandlungsrisiken machen können; so sei er insbesondere bei Verwendung des Begriffes „gelegentlich“ - den der Arzt bei der Aufklärung benutzte – davon ausgegangen, dass dieser dahin zu verstehen sei, dass es sich um Risiken handle, die bei einem bis zu zehn von 1.000 Behandelten (0,1 bis 1%) auftreten.


Demgegenüber wurde der Patient von dem Arzt vor dem geplanten Eingriff nur unter Verwendung eines Aufklärungsbogens aufgeklärt, in dem es unter anderem hieß:


„Trotz größter Sorgfalt kann es während oder nach dem Eingriff zu Komplikationen kommen, die u.U. eine sofortige Behandlung erfordern (…). Zu nennen sind: (…) im Laufe der Zeit gelegentlich Lockerung oder extrem selten Bruch der Prothese; ein Austausch der Prothese ist dann erforderlich. (…)“



So nahm das Unheil seinen Lauf und knapp zwei Jahre nach der Operation wurde festgestellt, dass sich die Prothese gelockert hatte, welche schließlich durch ein neues Implantat ersetzt wurde. Während des Gerichtsverfahrens stellte sich auch noch heraus, dass die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Lockerung nach einer Knieprothesen-Implantation im Bereich von bis zu 8,71% läge und somit nicht der Definition des Wortes „gelegentlich“ – wie sie in Beipackzetteln Verwendung findet – entspreche.


Der Patient vertrat weiter die Auffassung, dass im Rahmen der Aufklärung die Risiken heruntergespielt wurden und die Eingriffsaufklärung unrichtig oder unzureichend gewesen sei und stütze seinen Schadensersatzanspruch darauf; auch Mediziner hätten sich an die Beipackzettel-Definitionen zu halten. Aufgrund der Erfahrung mit Arzneimitteleinnahmen würden Patienten Risikohinweise so interpretieren wie sie es aus Beipackzetteln gewohnt seien.


Den Ausführungen des Patienten folgte der BGH jedoch nicht. Es genüge, dass der Patient „im Großen und Ganzen“ über Chancen und Risiken einer Behandlung aufgeklärt werde, sodass er eine allgemeine Vorstellung von dem Ausmaß der mit dem Eingriff verbundenen Gefahren bekommen könne. Es wäre nicht erforderlich, dem Patienten annähernd genaue Prozentzahlen über die Möglichkeit der Verwirklichung eines Behandlungsrisikos mitzuteilen. Die Aufklärung müsse für den Patienten sprachlich und inhaltlich verständlich sein und infolge stellte der BGH auf den allgemeinen Sprachgebrauch bei der Interpretation von Risikohinweisen ab; denn für die Aufklärung von Patienten vor ärztlichen Eingriffen würden insoweit keine Besonderheiten gelten. Und so bezeichne das Wort „gelegentlich“ eine gewisse Häufigkeit, die größer als selten, aber kleiner als häufig sei. Die Häufigkeitsdefinitionen wie sie in Beipackzetteln zu finden sind, wären hingegen keineswegs prägend für den üblichen Sprachgebrauch – diese Begriffe sollten lediglich den internationalen Austausch von Informationen v.a. im Zusammenhang mit der Zulassung von Medizinprodukten, etc. erleichtern. Zudem habe auch eine in der Vergangenheit durchgeführte Studie gezeigt, dass selbst Pharmazeuten und Ärzte im Kontext eines Arzt-Patienten-Gesprächs unter dem Begriff „gelegentlich“ im Mittel eine Wahrscheinlichkeit von 10% verstehen würden, sodass erst recht nicht davon ausgegangen werden könne, dass das allgemeine Sprachverständnis von Laien hiervon abweiche.